Transformation der Gesellschaft wichtigster Hebel – Bürger*innen mitnehmen

In einer lebhaften Podiumsdiskussion hat am Mittwochabend die Bürgerinitiative MainzZero das Ziel einer klimaneutralen Kommune bis 2030 aus verschiedenen Richtungen beleuchtet. Parallel zum Austausch auf dem Podium fand bei YouTube eine intensive Diskussion der Zuschauer, inklusive direkter Fragen an die Teilnehmer*innen auf dem Podium, statt. Die von Hans-Georg Frischkorn (MainzZero) moderierte Diskussionsrunde mit Katrin Eder (Mainzer Umweltdezernentin), Dr. Tobias Brosze (Technischer Vorstand der Stadtwerke Mainz), Peter Todeskino (Geschäftsführer der Westfälischen Bauindustrie GmbH in Münster) sowie Dr. Peter Moser (Deutsche Bundesstiftung Umwelt, DBU) stellte einhellig fest: Klimaschutz ist eine allumfassende Aufgabe, bei der nicht nur die städtische Verwaltung gefordert ist, sondern vor allem auch die Bürger*innen durch umfassende Kommunikation über Ziele und Maßnahmen mitgenommen werden müssen. Hier sehen sowohl Katrin Eder als auch Dr. Brosze Nachholbedarf in Mainz.

Schnelles Umgestalten unserer Gesellschaft Grundlage für den dauerhaften Erfolg
„Wir sind uns einig mit MainzZero. Wir müssen ganz, ganz schnell den Einstieg in die Transformation der Gesellschaft schaffen“, betont Katrin Eder. Dabei gehe es noch weitergehend darum, dass der Klimaschutz im Zentrum jeglichen gesellschaftspolitischen Handels stehen muss. „Sobald es jedoch an persönliche Einschränkungen geht, gibt es immer wieder Widerstand“, so die Erfahrung der Umweltdezernentin. Insbesondere bezüglich der Verkehrspolitik beschrieb sie die Herausforderung, dass durch eine ausführliche Bürgerbeteiligung für Einzelmaßnahmen wie Radwege deren Durchführung häufig stark verlangsamt werde, was das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2030 aus ihrer Sicht unwahrscheinlicher werden lässt.
Dr. Tobias Brosze, Technischer Vorstand der Mainzer Stadtwerke, berichtet, dass Klimaschutz schon sehr lange in den Unternehmenszielen der Mainzer Stadtwerke verankert ist. Auch er stellt die Verhaltensänderung in der Bevölkerung als wichtig und vor allem ausbaufähig dar: Nur 18% aller deutschen Haushalte entschieden sich 2019 für Ökostrom, obwohl hier preislich oft kein großer Unterschied besteht.

Konsequente Kommunikation als wichtiger Baustein
Beide Mainzer Vertreter haben erkannt, dass sie bei der Kommunikation über Erreichtes und die Vorhaben im Klimaschutz besser werden können. So sind den Mainzer*innen etwa die Projekte der Mainzer Stiftung für Klimaschutz und viele weitere Programme und erhaltene Auszeichnungen wie 2017 ein Preis für die Kennzeichnung von Radwegen wenig bekannt. Ein erster Schritt ist hier der Aufbau einer neuen Seite zu diesen Themen rund um den Klimaschutz auf der Internetseite der Stadt Mainz, die Eder ankündigte.
Für umfassende Kommunikation zu Klimaschutzbestrebungen spricht sich auch Dr. Peter Moser von der DBU aus. Für ihn braucht es einen „Wandel, ein klares Umdenken, in der Auffassung, wie Klimaschutz erreicht werden kann“. Das geht seiner Ansicht nach nur mit transparenten Zielen z.B. bei Fotovoltaik auf Dächern, über deren Erreichen in der Öffentlichkeit kontinuierlich berichtet werden muss – etwa mit einem Ampelsystem. Anstatt sich auf Leuchtturmprojekte zu konzentrieren, sollte es darum gehen, wie in den einzelnen Stadtteilen Fortschritte erzielt werden können. Dazu könnten die ortsansässigen Vereine einbezogen und dazu gewonnen werden, eigene Stadtteil- und Quartiersprojekte zu initiieren. Quartiers- und Klimaschutz-Manager, die über Programme des Bundes über drei Jahre gefördert werden, unterstützen diese Maßnahmen. „Positive Zukunftskommunikation“ nennt Dr. Moser das.
Die Frage, wie die Bürger auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen sind, ist auch Peter Todeskino sehr wichtig. „Wir Deutschen sind Weltmeister im Ankündigungs-Klimaschutz. Doch wenn es an die konkrete Umsetzung geht wird’s schwierig. Die Menschen sind nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu überzeugen, sondern durch das Schaffen von Win-Win-Situationen – zum Beispiel über genossenschaftliche Projekte im Bereich Solarstrom – damit die Bürger*innen auch persönlich vom Klimaschutz profitieren können.“ Über so etwas wie „Stadtstolz“ könne man die Bürger*innen anspornen, den Fotovoltaik-Ausbau in der Stadt voranzubringen. Dr. Brosze von den Mainzer Stadtwerken entgegnet, dass solche Projekte in jedem Fall für die Sensibilisierung der Gesellschaft wichtig seien, aus seiner Sicht jedoch mengenmäßig kein großer Hebel sein können.

Sektoren ‚Verkehr und Wärme‘ stellen die größten Herausforderungen dar
Ein großes Thema, insbesondere auch im Chat des Livestreams, war die Umgestaltung des Verkehrs in Mainz und der Wegfall von Parkräumen für Fahrzeuge. „Der öffentliche Raum ist viel zu wertvoll und zu kostbar um ihn Zuzuparken“, so die klare Position von Eder. „Ich halte die Shitstorms in den Sozialen Medien aus, weil ich mit voller Überzeugung hinter den Maßnahmen stehe. Aber wo es an persönliche Einschränken und Verhaltensänderungen geht, stößt das Verständnis für die notwendigen Veränderungen an Grenzen. Hier zeigt sich ganz deutlich: Es ist eine große Herausforderung, die Leute auf diesem Weg mitzunehmen“, betont die Umweltdezernentin.
Dass dies ein erreichbares Ziel ist, zeigt das Beispiel Münster. Peter Todeskino hat im Wahlkampf zur Oberbürgermeister-Wahl 2020 gefordert, die Innenstadt und hier insbesondere die Altstadt von Münster autofrei zu machen und hat mit dieser Forderung diese Bezirke gewonnen. Die Bewohner der Randbezirke, die vielfach auf ihr Auto angewiesen sind, aber eher abgeschreckt. “Hier müssen gute Angebote im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs für die Einpendler geschaffen werden.“ Diese These unterstützt auch Peter Moser: „Verantwortliche in den Städten müssen sich offensiv zum Klimaschutz bekennen wie zum Beispiel in Tübingen. Dieses Bekenntnis muss sich dann aber auch in der Realpolitik wiederfinden.“ Realität sei jedoch, dass der Klimaschutz bei Entscheidungen doch immer wieder in den Hintergrund gestellt werde. „Dies darf nicht mehr sein. Wir müssen den Mut haben, sinnvolle Ge- und Verbote auszusprechen– ähnlich wie dies in der Coronakrise geschieht“, betont Moser. „Auch wenn einige da lautstark protestieren werden, die Mehrheiten für den Klimaschutz stehen hinter ihnen, das zeigen die jüngsten Wahlen.“
Mit energetischer Gebäudesanierung und Wärmewende spricht Moderator Frischkorn noch ein herausforderndes Themenfeld an. Hier fällt es besonders schwer, eine Vision zum Gelingen zu entwickeln. Stadtwerke-Vorstand Brosze fordert hier vor allem Konzepte für Eigentümer von Mehrfamilienhäusern, für die es derzeit keine rentablen Modelle für die Sanierung gebe. „Die Wärmewende muss vielmehr aus der Perspektive der Immobilienbranche gedacht werden, anstatt weiterhin die alleinige Verantwortung bei der Energiebranche zu verorten“, so Brosze.
Technologisch seien die Mainzer Stadtwerke mit ihren Konzepten schon sehr weit, so habe Mainz eins der grünsten Fernwärmeangebote Deutschlands. Aber alleine über Technologie könne man die Wärmewende nicht schaffen. Im Rahmen der Versorgungspflicht seien die Stadtwerke noch immer verpflichtet, z.B. auf Anfrage von Hauseigentümern einen neuen Gasanschluss zu verlegen. Eder ergänzte, dass auch Handwerksbetriebe noch nicht ausreichend auf umweltfreundliche Technologien geschult seien und darum häufig noch in Richtung Gasheizung berieten. Diesbezüglich steht sie bereits in Kontakt mit der Handwerkskammer.

Kommunen brauchen finanzielle und personelle Ausstattung
Eine zentrale Frage in der Diskussion war außerdem: Was brauchen die Kommunen, um beim Klimaschutz schnell voranzukommen? Katrin Eder beantwortet diese Frage in drei Worten: Personal, Geld, günstige politische Rahmensetzungen „Wir müssen dürfen dürfen“, wünscht sie sich. Eder spielt damit u.a. darauf an, dass es den Kommunen in Rheinland-Pfalz qua Gesetz noch immer nicht möglich ist, die Preise des Anwohnerparkens entscheidend anzuheben oder eine Solarsatzung zu erlassen.
Da der Klimaschutz noch immer nicht als kommunale Pflichtaufgabe verankert sei, müssen für jede Maßnahme umfangreiche Anträge geschrieben werden. Diese Abhängigkeit von Fördertöpfen verhindere die Planbarkeit von Maßnahmen über mehrere Jahre, beschreibt auch Tobias Brosze die Situation.

Die Bedeutung von ausreichend Personal für das Voranbringen des Klimaschutzes in einer Stadt betont auch Peter Moser: „Dank der Förderung von Personal über drei Jahre durch die Nationale Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesumweltministeriums (s. Quellennachweis) können in den Städten richtige Klimaabteilungen aufgebaut werden.“ Peter Todeskino beschreibt außerdem, wie wichtig es in seiner Zeit als Stadtrat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt in Kiel war, auf alle technischen Dezernate direkt zugreifen zu können.

Zum Schluss bot Moderator Hans-Georg Frischkorn von MainzZero den Diskutant*innen noch die Gelegenheit, ihre Wünsche in Richtung der Koalitionsverhandlungen für die neue rheinland-pfälzische Landesregierung zu senden. “Wir alle hoffen, dass die Koalitionsvereinbarung dem Klimaschutz im Land und damit auch in Mainz neuen Schwung gibt”, sagt er. Die Podiumsdiskussion hat gezeigt, wie wichtig genau das ist.

Die Aufzeichnung der Diskussion kann über YouTube abgerufen werden.

Quellennachweis:
https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/bundesumweltministerium-foerdert