Wie kommt man zu Fuß oder mit dem Rad am besten von der Neustadt in die Altstadt ohne Auto-Mischverkehr und ohne an parkenden Autoschlangen entlang fahren zu müssen, deren Türen womöglich direkt vor einem aufgemacht werden? Am gestrigen Samstag fiel die Entscheidung leicht: Die Bürgerinitiative MainzZero hatte für eine Kundgebung unter dem Motto „Lebenswertes Mainz – Autofreie Grünachsen“ die Neubrunnenstraße – dort wo sie noch nicht verkehrsberuhigt ist – für den Fahrrad- und Fußgängerverkehr umgewidmet. So entstand eine durchgehende Achse für komfortablen Fuß- und Radverkehr von der Kaiserstraße bis zur Großen Bleiche. Viele Passanten schlenderten gemütlich durch die Straße und Anwohner und Geschäfte genossen das lebendige Treiben.

Hintergrund dieser Aktion: Eine der elf Forderungen von MainzZero – Klimaentscheid Mainz lautet, dass jeder Stadtteil bis zum Jahr 2023 mindestens eine zusätzliche autofreie Grünachse bekommt und dies durch die Umwidmung einer (Auto)Straße. MainzZero geht es hier um einzelne Straßen in jedem Stadtteil, damit alle Mainzer*Innen den Gewinn derartiger autofreien Grünachsen und damit auch eine klimaneutrale Mobilität positiv erfahren können.

Die Neubrunnenstraße verbindet die Neustadt mit der Altstadt, was sie zu einer wichtigen Fahrrad- und Fußgängerachse in der Stadt macht. Hier will das Bündnis zeigen, dass verkehrsberuhigte Straßen einen Mehrwert an Lebensqualität für Anwohner und Passanten mit sich bringen. Außerdem sind diese zusätzlichen Grünflächen gut fürs Stadtklima in heißer werdenden Sommern – gerade in der dicht bebauten Innenstadt und vielen der eng bebauten alten Ortskerne der Stadtteile. Auch für die Außengastronomie bedeutet dies ein Gewinn.

Zahlreiche Redebeiträge aus dem Bündnis
Die Kundgebung bestand in einem umfangreichen Bühnenprogramm mit Redner*innen aus dem Bündnis des Klimaentscheids Mainz, allen voran der for Future-Bewegung: die Scientists, Students, Health, die Archictects und Workers4Future stellten ihre Perspektiven auf Grünachsen und deren Bedeutung für das Klima dar. Aufgelockert wurde das Programm durch Musik und einem Gedichtvortrag.

Edith Heller von den Workers4Future Mainz/Wiesbaden betonte die Wichtigkeit des Wiesbadener Ostfeldes als Kaltluft- und Frischluft-Schneise auch für die Mainzer Innenstadt. Weitere Redebeiträge kamen von Extinction Rebellion, dem BUND und dem ‚Bündnis Wald statt Asphalt‘. „Der motorisierte Individualverkehr ist nicht für alle da, er schließt Kinder, geringer Verdienende, Menschen mit Einschränkungen und einige mehr aus. Trotzdem bleibt der Fokus auf dem Auto“, betont das Bündnis.

Norma Villada vom Restaurant Salute in der Zanggasse betonte die Chancen, die sich für den anliegenden Einzelhandel und die Gastronomie ergeben, wenn Straßen in Grünachsen verwandelten werden. Ihr Geschäft ist für Fußgänger*innen mit Einschränkung oder Familien mit Kinderwagen schlecht zu erreichen. „Statt Platz für Rollatoren gibt es nur Platz für Autos! Für die Gastronomie ist es wichtig, dass Menschen mehr Sitzplätze im Freien bekommen, vor allem jetzt gerade, in der Pandemie. Das wäre im Bleichenviertel wirklich wichtig.“ Sie ist sich sicher, dass sich das Miteinander unter den vielen inhabergeführten Geschäften im Bleichenviertel ganz anders gestalten würde, wenn es mehr Begegnungsfläche in den Straßen gäbe. Bereits 2019 hatte sie einen Antrag für Verkehrsberuhigung und Begrünung der Zanggasse an die Stadtverwaltung geschickt. Zwar stieß sie auf offene Ohren, passiert ist aber leider nichts.

Besonders spannend berichtete im Vorfeld der Kundgebung auch der Betreiber der Zeitungsente, Mike Krämer, was es bedeutete, als vor etwa 40 Jahren der Abschnitt der Neubrunnenstraße vor seinem Lokal zur Fußgängerzone wurde. Der damalige Besitzer befürchtete, seine Gäste würden wegbleiben, wenn sie nicht in der Straße parken könnten. Er startete sogar eine Unterschriftenliste gegen die Verkehrsberuhigung. Doch die Entwicklung war komplett anders: Die Zeitungsente richtete die Außenterrasse ein und gewann zusätzliche Kundengruppen hinzu. „Einige Stammgäste kommen zum Wochenendausflug mit dem E-Bike aus Frankfurt oder Aschaffenburg in meinen Biergarten“, so Mike Krämer. Für ihn ist klar: „Beim Einkaufen in der Innenstadt wünschen sich die Leute heute ein ganz anderes Erlebnis. Sie wollen mehr schlendern, verweilen und die Gastronomie genießen. Die Umwidmung einiger Parkplätze für die Außengastronomie im Zusammenhang mit den Coronabeschränkungen im letzten Sommer war genau richtig. Das sollte so bleiben. Die Gastronomie sollte bei den neuen Mobilitätskonzepten beteiligt werden.“

Preis für Kreativwettbewerb verlost

Ein Highlight im Bühnenprogramm war die Verlosung der Preise des Kreativwettbewerbs „Kinder und Jugendliche als Stadtentwickler*innen“. Um auch die Ideen der Mainzer*innen einzubeziehen, die noch am längsten in unserer Stadt leben werden, hatte MainzZero Kinder und Jugendliche aufgerufen, in Zeichnungen, Fotos, Kollagen oder Videos zu zeigen, wie sie sich Mainz in der Zukunft vorstellen. Die Einsendungen waren so kreativ und verschieden, dass die Initiative am Samstag das Los entscheiden ließ, welche drei Künstler*innen einen Gutschein der Eisdiele n‘Eis gewonnen haben. Die Gewinner sind Yamal, 18 Jahre aus der Oberstadt, Antonia, 8 Jahre aus Bretzenheim und Johann, fünf Jahre, ebenfalls aus Bretzenheim. Alle Beiträge sind demnächst auch in einer virtuellen Galerie unter www.klimaentscheid-mainz.de/kreativwettbewerb/ zu sehen.

Tolle Angebote der Bündnispartner zum Thema „Klima“
Die Kundgebung dauerte von 11 bis 17 Uhr und war belgeitet von Informationsständen der Bündnispartner von MainzZero. So konnten die Besucher*innen am Stand der Architects for Future Insektenhotels bauen, es gab einen großformatigen Stadtplan, auf dem jeder mit Klebepunkten kennzeichnen konnte, wo er oder sie sich mehr Grünflächen, Radwege, Carsharing oder auch Tiefgaragen wünscht. Die BUNDJugend bot das Weltspiel an: Passanten sollten schätzen, wie Reichtum, Bevölkerung und CO2-Emmissionen zwischen den Kontinenten verteilt sind. Auch die anliegenden Geschäfte unterstützen die Forderungen der Kundgebung und freuten sich über das zusätzliche Publikum. Erlesenes und Büchergilde hatte eigens ein Schaufenster mit Klima- und Naturthemen für Kinder gestaltet.

Optisch besonders beeindrucken war, wie grün die Neubrunnenstraße für diesen einen Tag war: Parkschilder wurden zu Pop-up-Bäumen umfunktioniert, und das Pflanzencenter Stinner in Gonsenheim hatte zahlreiche Bäume und Pflanzen in Töpfen ausgeliehen, die die Straße als Grünachse erscheinen ließen.

Mobilitätswende jetzt
Eingebettet war der Tag in den bundesweiten Aktionstag „Sozial- und klimagerechte Mobilitätswende jetzt!“. So war die Neubrunnenstraße gleichzeitig Start- und Endpunkt von drei Raddemos, die mehr Platz und bessere Infrastruktur für den Radverkehr in Mainz forderten.
Die detaillierten Forderungen und Ziele von ‚MainzZero – Klimaentscheid Mainz‘ und weitere Infos zum Bürgerbegehren sind unter www.klimaentscheid-mainz.de zu finden.
Hier das Video zum Aktionstag und zur Übergabe der Unterschriften

So grün wie beim Aktionstag von MainzZero und ihren Partnern am 5. Juni 2021 könnte die Neubrunnenstraße aussehen.

Physikerin Prof. Dr. Doris Vollmer von den Scientists for Future (s4F) macht anschaulich, wieviel CO2 beim Verbrennen von fünf Litern Benzin entsteht.

Drei Mal machten sich die Teilnehmenden der Fahrraddemo auf den Weg durch die Mainzer Innenstadt, um für eine fahrradfreundliche Infrastruktur zu werben.

Ein Insektenhaus konnte am Stand der Architects4Future gebaut werden.

Musik lockerte die Vorträge zum Aktionstag “Lebenswertes Mainz” auf. Im Hintergrund das Visionsbild der Architects4Future (s. unten), wie die Neubrunnenstraße nach einem Umbau aussehen könnte.

Norma Villada vom vegetarischen Restaurant ‘Salute’ betonte die Vorteile mit mehr Grün und weniger Verkehr in der Innenstadt für die Gastronomie.